Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die AfD beschäftigt uns hier mit einem Antrag zur Rettung der “deutschen Identität”.
Was immer das sein mag – das nenne ich mal eine außergewöhnliche Schwerpunktsetzung in Krisenzeiten!

Was wird uns präsentiert?
Ein geschichtsvergessenes Konglomerat von Provokationen in direktem Anschluss an Vogelschiss und die angeblich tausendjährige deutsche Erfolgsgeschichte.

Uns wird ein Wald an Stöckchen aufgebaut, über die wir Demokratinnen und Demokraten springen sollen, um die AfD und ihr Publikum zu unterhalten.

Diesen Gefallen werden wir Ihnen nicht tun.
Schon deshalb nicht, weil Sie ein gefährliches Ziel verfolgen: Sie wollen das Parlament und unsere Demokratie der Lächerlichkeit preisgeben und demokratische Prozesse unterhöhlen.

Ich bin ausgebildete Sonderpädagogin. Daher halte ich diesen Antrag mit seinen Provokationen im Grunde für verhaltensauffällig.

Sie wollen um jeden Preis Aufmerksamkeit erheischen. Sie phantasieren von einem historischen Disneyland und von einem Volk
ohne Fehl und Tadel.

Sie verlieren sich in einem rosigen Zuckerwatte-Traum von Schlössern, Gold und soldatischen Helden.
Wirklich ernstnehmen kann man das nicht. Es wäre lustig, wäre es nicht brandgefährlich.

Gerade weil wir aus der Geschichte gelernt haben, noch immer dazulernen und weil wir uns unserer Verantwortung stellen, ist unsere Kulturpolitik, wie sie ist:

international, antirassistisch, feministisch, postkolonial, inklusiv und queer.
Also: Vielfältig, wie unsere offene, demokratische Gesellschaft.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte prägt unsere Identität und unser Handeln.

Ich bin direkt gewählte Abgeordnete aus Brandenburg. Mein Wahlkreis ist Märkisch Oderland – Barnim II.
Anhand von zwei Beispielen aus meinem Wahlkreis möchte ich Ihnen zeigen, was Kulturpolitik und historische Verantwortung bedeutet.

Während der Hexenverfolgungen wurden in der Stadt Bernau bei Berlin von 1536 bis 1658 in Hexenprozessen 25 Frauen und drei Männer wegen angeblicher Zauberei verfolgt, gefoltert und hingerichtet.
Seit Oktober 2005 gibt es ein Denkmal für die Opfer der Hexenverfolgung. Und die Stadtverordnetenversammlung hat 2017 die Rehabilitierung der Opfer beschlossen.

Der Glaube an Verschwörungstheorien leitet auch Reichsbürger in ihrem Handeln.
Vor etwas mehr als einem Monat hat die Polizei in einer bundesweiten Großrazzia 25 Menschen verhaftet, darunter ihre Freundin von der AfD. Die Gruppe plante offenbar einen gewaltsamen Umsturz und war bewaffnet.

In die Zeiten dunkler Verschwörungsmythen wollen wir nicht zurück!

Und noch ein weiteres Beispiel:
Die Schlacht um die Seelower Höhen im April 1945 eröffnete den Kampf um Berlin.

Knapp 1 Million Rotarmisten kämpften gegen etwa 120.000 deutsche Soldaten. Die Weißrussische Front durchbrach in einem großangelegten Angriff die Stellungen der deutschen Wehrmacht. Das war das Ende der Ostfront.

Etwa 12.000 deutsche Soldaten und 33.000 sowjetische Soldaten wurden dort getötet.
Noch heute finden wir Überreste: Gebeine der toten Soldaten, und natürlich Munition.
Auch das ist deutsche Geschichte.
Die Gedenkstätte Seelower Höhen vermittelt heute die historischen Zusammenhänge.

Mein Genosse Otto Schily hat in seiner bewegenden Bundestags-Rede zur Wehrmachtsausstellung 1997 über den Unwillen vieler Menschen gesprochen, sich auf die historische Wahrheit einzulassen: die Untaten in der Schreckenszeit der Naziherrschaft und ihre Folgen auch für die Täter.

Die Leugnung deutscher Kriegsverbrechen ist vorbei. Heutzutage übernehmen wir Verantwortung.
Wir Demokratinnen und Demokraten stehen für eine vielfältige Kulturpolitik mit historischem Gewissen.

Vielen Dank!

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