Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
in meinem Wahlkreis, in Bad Freienwalde, existierte zu DDR-Zeiten ein Kindergefängnis für Kinder ab 3 Jahren. Folter und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Erst nach der Wende wurde das gesamte Ausmaß des Grauens bekannt. Zunächst herrschte die Meinung, die Kinder und Jugendlichen hätten diese Behandlung „schon irgendwie verdient“. Erst Schritt für Schritt wurde durch die Aufarbeitung bekannt, welche Verbrechen im Namen der SED-Diktatur begangen wurden. Erst nach und nach trauten sich Opfer, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Sie treffen auch heute noch auf Menschen, die sie beschimpfen und verhöhnen, und die historischen Fakten nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Das zeigt an einem drastischen Beispiel, dass schon viel geleistet worden ist. Aber die Aufarbeitung ist noch längst nicht abgeschlossen.
Diese Arbeit kann nicht hoch genug geschätzt werden. Ich danke ganz herzlich insbesondere der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur, Frau Zupke, und den Landesbeauftragten. Außerdem der Bundesstiftung Aufarbeitung und den vielen, auch ehrenamtlichen Initiativen. Ihre Arbeit ist für unser Land unverzichtbar!
Mit dem Antrag der Koalition würdigen wir auch die aktive Rolle der ostdeutschen Oppositionellen, der Bürgerrechtsbewegung und der zahlreichen mutigen Unterstützer in den Wendejahren und im Vereinigungsprozess. Sie haben den Sturz der Diktatur herbeigeführt und die Deutsche Einheit ist vor allem ihr Verdienst!
Aber es gab auch noch die vielen anderen, die (aus welchen Gründen auch immer) die Proteste nicht unterstützt haben. Oder die nicht sehen wollten, was passierte. Oder die Angst hatten vor Veränderung, die nicht einschätzen konnten, was die Nachrichten zum Beispiel aus Polen bedeuteten. Denn die polnische Solidarnosc hatte Aufmerksamkeit erregt und einen Anstoß gegeben, auch für die Menschen in der DDR. Einige fühlten sich ermutigt, andere waren verunsichert.
Was ist nun aus dem ostdeutschen Aufbruch in ein freiheitliches Land geworden? Warum hat die Erzählung von den Ostdeutschen als Opfer heute Konjunktur? Wie kommt es, dass für viel zu viele Menschen die SED-Diktatur immer schöner erscheint, je länger sie her ist? Dass es, nach der Erfahrung von zwei deutschen Diktaturen, heute eine neue Hinwendung zu Autokraten gibt und eine menschenverachtende Tradition des völkischen Denkens, des Antisemitismus und des Rechtsextremismus auflebt?
Welche Ursachen liegen dabei in der DDR begründet? Wie können wir die Erfahrungen aus der Friedlichen Revolution positiv nutzen, um die heutige Demokratieverachtung zu bekämpfen? Wie können insgesamt die freiheitlichen Versprechen dieses Staates wieder glaubwürdiger zur Geltung kommen: Bildungsgerechtigkeit, Aufstiegschancen, eine gerechtere Verteilung des Reichtums?
Lassen Sie uns darüber sprechen. In der Aufarbeitungspolitik, in den Schulen und am Abendbrottisch. Lassen Sie uns Menschen in Ost und West weiter darin unterstützen, diese teilweise schmerzhaften Diskussionen zu führen.
Ich bitte um Zustimmung zum Antrag der Koalition.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!