Als Vorsitzende des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung hatte ich die Ehre bei der Konferenz Der europäische Raum für Demokratiebildung: Demokratie durch hochwertige politische Bildung sichern zu sprechen. Die Veranstaltung würdigte die 75. Jahrestage des Europarates und des deutschen Grundgesetzes. Organisiert wurde die Konferenz von einer Vielzahl europäischer Institutionen, darunter das Auswärtige Amt, die Kultusministerkonferenz (KMK) und verschiedene Netzwerke, die sich für die Demokratie- und Menschenrechtsbildung einsetzen.
Ziel der Konferenz war es, die Errungenschaften der Demokratiebildung in Europa zu beleuchten und den Europäischen Raum für Demokratiebildung weiter voranzubringen. Diese Initiative wurde im Rahmen der Bildungsstrategie des Europarates für die Jahre 2024-2030 ins Leben gerufen und soll eine gemeinsame Vision für die Demokratiebildung schaffen und die europäischen Staaten in ihrem Engagement für die Förderung demokratischer Werte durch hochwertige Bildung vereinen.
In meiner Rede habe ich die zentrale Rolle politischer Bildung betont, gerade in einer Zeit, in der rechtsextreme Bewegungen zunehmen und vor allem junge Menschen zunehmend verfassungsfeindliche Parteien unterstützen. Dies ist auch in meinem Heimatland Brandenburg spürbar, wo knapp 30% der Wählerinnen und Wähler bei der letzten Landtagswahl einer rechtsextremen Partei ihre Stimme gegeben haben. Politische Bildung ist eine dauerhafte Aufgabe, die weit über kurzfristige Reaktionen auf Krisen hinausgeht. Sie muss kontinuierlich mit Nachdruck und Sensibilität verfolgt werden, um unsere demokratischen Grundwerte zu schützen und zu stärken.
Besonders freue ich mich, dass im Rahmen dieser Konferenz die deutsche Übersetzung des „Referenzrahmens für eine demokratische Kultur“ des Europarates vorgestellt wurde. Dieser Referenzrahmen wird ein wertvolles Instrument sein, um die Qualität der Demokratiebildung weiter zu erhöhen. Die vollständige Rede kann im Folgenden nachgelesen werden:
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen! Ich freue mich, dass ich Sie als Vorsitzende des Kuratoriums der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung hier in Berlin begrüßen darf!
Vor gut drei Wochen wurde in meinem Bundesland Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Knapp 30% der Wählerinnen und Wähler haben einer Partei ihre Stimme gegeben, die vom Verfassungsschutz als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingestuft wird. Das bedeutet: Es gibt nachweislich Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Vor allem junge Menschen haben dieser Partei überproportional oft ihre Stimme gegeben. Das tut weh, insbesondere in einer Region, die durch die Folgen der Nazi-Herrschaft im 2. Weltkrieg stark zerstört wurde. Noch heute finden wir Weltkriegsmunition und auch die Überreste getöteter Soldaten aus der letzten großen Schlacht um Berlin. Ich frage mich: Fehlt dieses historische Wissen? Welche Schlussfolgerungen ziehen die jungen Leute aus der Geschichte?
Nun gibt es sicherlich keinen kausalen Zusammenhang zwischen mangelhafter politischer Bildung und der Wahl einer rechten Partei, aber wir müssen uns schon fragen: Tun wir in der politischen Bildung genug und tun wir das Richtige? Wie leisten wir unseren Beitrag zur Stärkung und Verteidigung der Demokratie, die ja eine Grundfeste unserer Gesellschaft ist?
Drei Reflexe begegnen mir regelmäßig im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung:
Erstens: Die politische Bildung wird als „Feuerwehr“ gerufen, wenn akute Probleme auftauchen. Im Fall von Attentaten, unerwarteten Wahlergebnissen oder konkret z.B. als Reaktion auf den erschreckenden Antisemitismus nach dem 7. Oktober wird ein schnelles, kräftiges Einschreiten der politischen Bildung gefordert. Das ist eine Fehleinschätzung: Die politische Bildung eine Daueraufgabe, die mit der nötigen Hartnäckigkeit und Intensität kontinuierlich erfolgen muss und auch nur so Wirkung entfalten kann.
Der zweite Reflex: Man will eine Erfolgskontrolle durchführen und klare Ursache-Wirkung-Zusammenhänge nachweisen. Jeder Maßnahme der politischen Bildung soll eine konkrete Wirkung, ein Erfolg zugeordnet werden. Mehr Maßnahme gleich weniger falsche Einstellungen und Handlungen, so geht dann die Rechnung. Und am besten soll alles auch noch viel weniger kosten.
Wir wissen jedoch, dass es nicht so einfach ist: Auch wenn die Evaluation eine große und wichtige Aufgabe für uns ist, so ist doch der konkrete Wirkungsmechanismus viel komplexer.
Drittens wird die politische Bildung vor allem in den Schulen verortet. Dabei ist politische Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass Erwachsenenbildung mindestens genauso bedeutsam ist wie Schulunterricht!
Nach 1990 mussten wir in Ostdeutschland vor allem Erwachsene erreichen, die noch in der DDR zur Schule gegangen waren. Wir brauchen in der Demokratiebildung alle Zielgruppen. Wir brauchen auch aufsuchende Angebote in einer breiten Trägerlandschaft, die sensibel auf unterschiedliche Hintergründe und Voraussetzungen eingeht.
In Europa stehen wir derzeit alle vor denselben großen Aufgaben. Angesichts der multiplen Krisen in der Welt brauchen wir ein starkes Wertegerüst, das breit geteilt werden kann. Gleichzeitig zersplittern unsere Gesellschaften in Teil-Öffentlichkeiten, die eine allzu leichte Beute darstellen für alle, die mit Desinformation unser politisches System destabilisieren wollen. Es ist eine Mammutaufgabe, der wir uns stellen müssen.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns auf dieser Konferenz austauschen, vernetzen und voneinander lernen. Demokratiebildung macht unsere Gesellschaften zukunftsfest.
Ich bin sehr dankbar, dass die Bundeszentrale für politische Bildung die deutsche Übersetzung des renommierten „Referenzrahmens für eine demokratische Kultur“ herausgegeben hat. Sie wird im Rahmen dieser Konferenz erstmals vorgestellt und wird dazu beitragen, die Qualität unserer Demokratiebildung noch zu erhöhen.
Ich danke dem Europarat für die Organisation dieser Fachtagung.
Ich freue mich auf viele interessante Beiträge und wünsche uns allen viele neue Erkenntnisse!
Vielen Dank!