Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
die jüdische Autorin Deborah Feldman sagte in dieser Woche: „Ich habe den Eindruck, dass es in der Debatte um den Antisemitismus aktuell nicht um die Sicherheit der Juden geht, sondern um die Gelegenheit, endlich zu sagen: „Weg mit den Eingewanderten!“. Jetzt wird gespalten, jetzt wird die Gelegenheit ausgenutzt, dass alle auf Linie mit der AfD gegen Muslime hetzen.“
Ich frage mich: Hat sie damit Recht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Antisemitismus gibt es leider in allen Bevölkerungsgruppen. Die größte Bedrohung für Jüdinnen und Juden kommt allerdings von Rechts.
Und das ist nicht nur in Deutschland so. Sondern überall in Europa, wo rechte und rechtsextreme Parteien in diesen Tagen schweigen, sich ein Mäntelchen der Judenfreundschaft umhängen und mit dem Finger auf Muslime zeigen.
Aber Antisemitismus ist keine Frage der Staatsbürgerschaft. Und Antisemitismus ist keine Frage der Religion.
Antisemitismus braucht nicht einmal sichtbares jüdisches Leben, wie ich aus meinem Wahlkreis in Märkisch-Oderland berichten kann.
Sie haben Recht: Islamistischer Antisemitismus ist genauso schlimm wie der von Rechts und er muss genauso eindeutig bekämpft werden. Das gilt auch für den Antisemitismus von Links.
Und es gibt den erschreckenden Antisemitismus der bürgerlichen Mitte.
Angesichts dieser Gemengelage frage ich mich schon, wie die Union zum hier vorgestellten Lösungsvorschlag kommt. Sie wollen antisemitische Ausländer abschieben. Jetzt mal unter uns: Haben Sie das bei der AfD abgeschrieben? Mir können Sie nichts vormachen, als ehemalige Lehrerin!
Sie stellen Menschen aus Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten unter Generalverdacht. Und Sie übersehen dabei das viel größere und vor allem viel gefährlichere Problem: den deutschen Antisemitismus.
Der Ruf nach Abschiebungen ist wohlfeil. Das klingt kämpferisch, das klingt nach Durchgreifen. Das klingt so richtig schön populistisch, so richtig nach Stammtisch.
Doch wie viele Menschen könnten denn tatsächlich abgeschoben werden? Wie viele Verurteilungen von Ausländerinnen und Ausländern wegen Antisemitismus gibt es denn?
Antisemitismus kann man sich nicht mit einem Abschiebeflug vom Hals schaffen.
Wie so oft im Leben muss man sich anstrengen. Natürlich brauchen wir Strafrecht und Aufenthaltsrecht. Aber vor allem geht es um die Köpfe und die Herzen, sowohl der Deutschen als auch aller anderen, die hier leben. Es geht um politische Bildung in Schulen und in der Erwachsenenbildung.
Es geht um die Bekämpfung von Fake News, vor allem in den sozialen Medien. Am besten auch mehrsprachig.
Es geht um bessere Integration, um bessere Teilhabe, um Sprachförderung.
Es geht darum, kulturelle Benachteiligung zu verhindern. Es geht um mehr interreligiösen und interkulturellen Austausch.
Es geht um eine langfristige, eine nachhaltige, um eine überzeugende Bekämpfung des Antisemitismus.
Ja, das ist aufwändig. Und ja, das kostet Geld, ist anstrengend und dauert etwas länger. Gerade deshalb sollten wir keine Energie mit Scheinlösungen verschwenden.
Ich halte es für verantwortungslos, weiter Misstrauen in der Gesellschaft zu säen, nach Sündenböcken zu suchen, auf andere zu zeigen und Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Wir hier im Bundestag haben auch eine Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch wir müssen dafür sorgen, dass die Debatte nicht konfrontativ geführt wird, sondern mit gegenseitiger Empathie.
Justizia ist blind. Sie schaut auf die Straftaten und gerade nicht auf das Aussehen oder die Herkunft der Straftäter. Und das sollten wir auch nicht, wenn uns nicht ein Großteil des antisemitischen Gedankenguts in Deutschland durch die Lappen gehen soll.
Liebe Abgeordnete der Union, wir reichen Ihnen die Hand, um gemeinsam den Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen. Das ist unser gemeinsames Ziel. Aber diesen Antrag lehnen wir ab.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!